glaubesodernicht

Fakten und Kommentare zum Zeitgeschehen

DER VW- BETRUG UND SEINE FOLGEN

Wer betrügt, muss Schadenersatz leisten und bestraft werden. So ist es nun einmal in einem Rechtsstaat. Nicht so über viele Jahre in Deutschland, wenn man Manager des zweitgrößten Autokonzerns der Welt ist. Man hilft sich und man schützt sich, war jahreslang das Credo der obersten deutschen Politiker und Industriebosse. Und die Gewerkschaften als Vertreter des Kleinen Mannes unterstützten diesen Klüngel, wurde ihnen doch bei Unfolgsamkeit mit Massenentlassungen der ihnen Anvertrauten gedroht.

So kam denn auch der Autokonzern VW mit seinen Marken VW, Audi, Porsche, SEAT, Skoda, Bentley, Bugatti, Lamborghini und Ducati nach Bekanntwerden seines Abgasbetruges bei Dieselfahrzeugen anno 2015 in den USA an den Pranger und musste dort 30 Milliarden Dollar an Entschädigung und Strafen zahlen. In Deutschland dagegen verweigerte der Konzern bis vor wenigen Monaten jegliche Entschädigung an die Betroffenen und erlaubte seinen Anwälten bei der Abwehr von Klagen Betgroffener die hämische Argumentation: Der Kunde habe doch mit dem Persilschein des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) ein perfektes Auto bekommen  Wo sei denn da ein Schaden entstanden?

Standen die von der bayerischen CSU gestellten Bundesverkehrsminister (Dobrindt und Scheuer) lange Zeit schützend hinter dem VW-Konzern und seinen Managern, wurde der öffentliche Druck gegen diesen Klüngel bald so groß, dass sich die Bundesregierung zum Handeln entschließen musste. Als Folge der immer lauter werdenden Forderungen von Umweltschutzverbänden, Automobilclubs, Verbraucherverbänden und Medien nach Wiedergutmachung durch VW und Strafe für die Verantwortlichen beschloss die rot-schwarze Regierungskoalition anno 2018 ein Gesetz, das Musterfeststellungsklagen zum Nutzen des Verbrauchers in Deutschland zulässt.

Dieses Gesetz trat zum 1. November 2018 inkraft. Es gibt VW-Geschädigten die Chance, gegen VW risiko- und kostenlos vorzugehen, um eine Einzelklage gegen den Konzern mit ungewissem Ausgang und möglicherweise hohen Kosten zu vermeiden. Im Gegensatz zu den US-Sammelklagen werden bei der deutschen Musterfeststellungsklage allerdings nur Verantwortung und Schuld richterlich abgeklärt. Über einen messbaren Schadenersatz in Form von Geld, Wandlung (Rückabwicklung des Kaufvertrages), Nachbesserung oder Fahrzeugtausch muss dann individuell vor Gericht gestritten werden.

In der casa VW klagten der ADAC und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) im Namen von 400.000 Geschädigten denn auch gegen den VW-Konzern, mit dem Ziel: Das Oberlandesgericht (OLG) in Braunschweig möge feststellen, dass der VW-Konzern alle Käufer von Dieselfahrzeugen mit dem Motor EA189 vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat und den Geschädigten daher Schadenersatz schuldet.

OLG-Richter Michael Neef forderte von VW umgehend Vergleichsbereitschaft, damit das Verfahren nicht unnötig in die Länge gezogen wird. Doch VW mauerte lange. Erst zum Jahreswechsel 2019/2020 zeigte der Konzern Einsicht und offerierte nach langem Zögern den 235.000 anspruchsberechtigten Klägern ingesamt gut 750 Millionen Euro Entschädigung.  Je nach Modell und Alter des Fahrzeuges wurden den Betrogenen zwischen 1.350 bis 6.257 Euro Schadenersatz pro Wagen angeboten, den sie behalten, verkaufen oder stilllegen durften. Denn die Schummelsoftware im EA189-Motor, die saubere NOx-Werte nur auf dem Prüfstand zuließ, im normalen Fahrbetrieb aber ein Vielfaches des erlaubten NOx-Werts erlaubte, wurde durch ein vom BKA angeordnetes Softwareupdate in vielen Fällen nur verschlimmbessert. Insofern rieten einige der am Verfahren beteiligten Anwälte ihren Mandanten, den Vergleich nicht anzunehmen, sondern auf Rücknahme des Wagens unter Erstattung des Kaufpreises zu klagen.

Seit dem 25. Mai 2020 um 11 Uhr ist der Weg zu maximalem Schadenersatz durch den VW-Konzern vom Bundesgerichtshof (BGH) freigegeben worden. Die Karlsruher Richter bestätigten ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) in Koblenz, gegen das VW in Revision gegangen war, wonach dem Kläger Schadenersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung auf Basis von 300.000 km Laufleistung des Wagens zustehen. VW habe den Kunden (aber auch das Kraftfahrtbundesamt) mit der Schummelsoftware im EA 189-Dieselmotor betrogen, so die Kernaussage des BGH, und müsse daher den Wagen zurücknehmen.

Die ausführliche Urteilsbegründung des BGH folgt in diesem Blog sobald sie vorliegt und veröffentlicht wird.

 

HIER NOCH EINMAL EIN RÜCKBLICK AUF DEN VW-BETRUG

Ein VW-Touran 2.0 TDI mit dem Skandal-Motor EA 189, der im November 2013 bei VW gekauft und Anfang Februar 2014 in der Autostadt Wolfsburg übernommen wurde, lag mit den offiziell ausgewiesenen Stickoxidemissionen (NOx) von 137,4 mg/km weit unter dem Grenzwert von 180 mg/km NOx der Euro 5 Norm. Der Motor in diesem Touran wurde deshalb von VW und in der Fachpresse als „sauberster Diesel“ gelobt.  Der Käufer ließ sich davon mitreißen und orderte den qualitativ hochwertigen Wagen. Jetzt droht ihm in verschiedenen Ballungsgebieten Deutschlands und vermutlich bald auch in weiteren EU-Ländern ein Fahrverbot. Und selbst nach einem halbherzigen Softwareupdate durch VW – angeordnet vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) – ist dieser Wagen nur noch zu Spottpreisen verkäuflich.

VW wollte in den USA King of Diesel werden

 

Was die Käufer von Fahrzeugen mit diesen Motoren damals nicht ahnen konnten und erst US-amerikanische Untersuchungen im September 2015 ans Licht der Öffentlichkeit brachten, war der Umstand, dass der EA 189-Motor (so seine werksinterne Bezeichnung), ob in VW-, Audi-, Porsche-, Seat- oder Skoda-Karossen verbaut, nur auf dem Rollenprüfstand der Zulassungsbehörden und Prüfinstitute die vorgeschriebenen Mindestwerte für Stickoxide (NOx) einhielt, nicht jedoch im realen Fahrbetrieb. Dort stieg der Ausstoß laut Messungen der US-amerikanischen Umweltschutz-Behörde EPA um das Zigfache. Gleiche Messungen später von der Fachzeitschrift „auto, motor und sport“ ergaben im Fahrbetrieb Emissionen in Höhe von 864 mg/km NOx – also dem Fünffachen des auf dem Prüfstand ermittelten Werts. Der VW-Konzern hatte bei Bosch unter dem Namen EDC 17 die manipulierte Steuerungssoftware bestellt und im EA 189 Dieselmotor verbaut, um vor allem den äußerst strengen Abgasnormen in den USA gerecht zu werden. Denn gerade in den USA wollte der Konzern mit einem „blitzsauberen“ Diesel „Made in Germany“ die Märkte vor der japanischen Konkurrenz erobern.

Das ging schief. VW musste sich öffentlich für seine Betrugssoftware im EA 189 – Dieselmotor entschuldigen, zunächst in den USA und später auch in Deutschland. Betroffenen deutschen Käufern schrieb VW im Februar 2016, daß der im Fahrzeug eingebaute Dieselmotor „von einer Software betroffen ist, durch welche die Stickoxidwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden“. Und weiter: „Wir bedauern zutiefst, daß wir ihr Vertrauen enttäuscht haben und werden die Unregelmäßigkeit schnellstmöglich beheben.“

 

vw-ea-189-diesel-mit-betrugssoftware


Der VW EA 189 Dieselmotor mit der Betrugssoftware (Foto: ucs)

Der mit „Unregelmäßigkeit“ umschriebene Betrug an den Zulassungsbehörden (falsche Daten in den Autopapieren), an den Finanzbehörden (falsche Emissionsdaten und dadurch zu geringe Versteuerung), am Umweltschutz, an der Gesundheit der Menschen und last but not least an den Käufern (falsche Zulassungspapiere, zu hohe Emissionen, rapider Wertverlust und drohende Fahrverbote in vielen Ballungszentren) ist bis heute nicht behoben.  Der einst von VW so hochgelobte saubere Diesel hat durch den „Betrug“ des VW-Konzerns (so der derzeitige VW-Chef Herbert Diess am 18. Juni 2019 in der TV-Sendung „Lanz“) ein derart schlechtes Image bekommen, dass der Diesel-Absatz der gesamten Branche stockt und die Autoindustrie diesen Motor so schnell wie möglich durch Elektroantrieb ersetzen will. Autohändler weigern sich bereits heute, Modelle mit dem EA 189 Motor in Zahlung zu nehmen, da sie nicht wissen, „wie lange wir diese Wagen noch kostendeckend verkaufen können“. In Stuttgart, in der von Stickoxiden aus Dieselmotoren am ärgsten gegeißelten deutschen Stadt, fiel der Wert der auf der IT-Plattform mobile.de gehandelten gebrauchten Diesel-Fahrzeuge innerhalb eines Jahres nach Aufdeckung des Betruges um vier Prozent. Der Neuwagenabsatz von Dieseln sei, so Der Spiegel, im Raum Stuttgart „um ein Drittel eingebrochen“. Und das ist wohl erst der Anfang des Preissturzes für diese einst so beliebten Autos.


VW hat arglistig getäuscht

 

Rund 2,8 Millionen Wagen mit dem EA 189-Diesel sind in Deutschland mit der Betrugssoftware verkauft worden. Rund 15.000 Eigner dieser Fahrzeuge klagen auf eigenes Risiko gegen VW. Sie verlangen Gleichbehandlung mit US-amerikanischen Käufern, denen VW auf Druck von Justiz und Politik in den USA 5.100 bis 10.000 US-Dollar Wiedergutmachung je nach Modell und Fahrleistung, Wandlung oder vom Kunden akzeptierte Nachbesserung anbot. Dieser ausgehandelte Vergleich kostete den VW-Konzern bislang fast 30 Milliarden Euro in den USA. In Deutschland sieht der Konzern bis dato keinen Grund, sich mit den Geschädigten zu arrangieren. Denn der Konzern bekommt von den deutschen Behörden keinen oder nur minimalen Druck zur Wiedergutmachung. Sammelklagen nach Vorbild des US-amerikanischen Gruppen-Klage-Gesetzes (Class Action Bill) gibt es bei uns nicht. Allenfalls eine Lite-Version.

Als Folge der immer lauter werdenden Forderungen von Umweltschutzverbänden, Automobilclubs, Verbraucherverbänden und Medien nach Wiedergutmachung durch VW und Strafe für die Verantwortlichen beschloss die rot-schwarze Regierungskoalition ein Gesetz, das Musterfeststellungsklagen „zum Nutzen des Verbrauchers“ zulässt. Dieses Gesetz trat zum 1. November 2018 inkraft. Es gibt VW-Geschädigten die Chance, gegen VW kostenlos vorzugehen, um eine Einzelklage gegen den Konzern mit ungewissem Ausgang und hohen Kosten zu vermeiden.

Doch im Gegensatz zur US-amerikanischen Sammelklage werden bei der deutschen Musterfeststellungsklage nur Verantwortung und Schuld richterlich abgeklärt. Über einen messbaren Schadenersatz in Form von Geld, Wandlung (Rückabwicklung des Kaufverftrages), Nachbesserung oder Fahrzeugtausch muss anschließend individuell vor Gericht gestritten werden. Klageberechtigt in Deutschland sind nur ideell arbeitende Vereine. In der casa VW klagen der ADAC und der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gegen den VW-Konzern. Klageziel ist: Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig möge feststellen, dass der VW-Konzern alle Käufer von Dieselfahrzeugen  mit dem Motor EA189 vorsätzlich und sittenwidrig geschädigt hat und den Geschädigten daher Schadenersatz schuldet. Mehr als 400.000 VW-Geschädigte hatten sich bis Ende 2019 auf der Internetseite des Bundesamtes für Justiz kostenlos in ein Klageregister eingetragen und so die Verjährung ihrer Ansprüche gegen VW gestoppt. Jetzt sind sie Nutznießer der Feststellungsklage – so sie denn gewonnen wird oder es einen Vergleich gibt.

Wird sie gewonnen und VW zu Schadenersatz verurteilt, muss jeder einzelne Kläger in Einzelprozessen gegen VW dem ihm zustehenden individuellen Schadenersatz erstreiten. Dazu empfiehlt sich aus juristischen Gründen ein im Wirtschaftsrecht erfahrener Rechtsanwalt und aus Kostengründen  eine Rechtsschutzversicherung. Die Chancen für die Musterfeststellungkläger stehen nicht schlecht, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) in der casa VW eine erste Einschätzung der Klage veröffentlicht hat. Für den BGH stellt die Betrugssoftware in den Fahrzeugen des VW-Konzerns „einen Mangel im Sinne des Kaufrechts“ dar. Denn wegen der unerlaubten Abschalteinrichtung im EA 189 – Dieselmotor bestehe die Gefahr, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) den Betrieb des Autos untersage. Damit eigne sich das Fahrzeug nicht mehr zur gewöhnlichen Verwendung – unabhängig davon, ob die Behörde die Weiterfahrt mit dem Wagen schon untersagt hat oder nicht. Allein die Möglichkeit, dass die Behörde eingreifen kann, reiche aus, so der BGH in seiner Einschätzung.

Trotz der neuen Möglichkeit von Musterfeststellungsklagen wird der Verbraucherschutz in Deutschland seitens Politik und Gewerkschaften weiter kleingeschrieben, wenn er zu Lasten großer Unternehmen mit vielen Beschäftigten geht. Denn mit dem Argument „Arbeitsplätze und Exporte sind in Gefahr“ findet die Wirtschaft, so sie denn mal in die Zange genommen wird, stets Gehör und Unterstützung bei Politik und Gewerkschaften. So ist das Bundesland Niedersachsen Großaktionär bei VW. Und viele Menschen dort verdienen ihr Brot direkt und indirekt bei VW. Kein Wunder, daß bei den meisten bisherigen Einzelklagen gegen VW am VW-Gerichtsort Braunschweig der VW-Konzern am längeren Hebel saß – vor allem bei erstinstanzlichen Verfahren vor dem Landgericht (LG). Nur wenn die Kläger zäh blieben und in die Berufung gingen, also das Oberlandesgericht (OLG) anriefen und mit der Fortsetzung des Streits bis zum Bundesgerichtshof (BGH) und letztlich bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) drohten, knickten die VW-Anwälte ein und boten den Klägern einen Vergleich an.

Mutig war dagegen bereits die Braunschweiger Staatsanwaltschaft. Sie verdonnerte VW wegen Softwarebetruges zu einem Bußgeld in Höhe von einer Milliarde Euro. Und seit April 2019 hat sie auch Ex-VW-Chef Martin Winterkorn sowie die VW-Motorenentwickler Heinz Jakob Neußer, Jens Hadler, Hanno Jelden und Thorsten D. Neußers im Visier, so Recherchen des Handelsblatts. Ihnen wird millionenfacher Betrug an Staat und Käufern sowie vorsätzliche Urkundenfälschung vorgeworfen, da sie den manipulierten Diesel-Fahrzeugen in den Zulassungspapieren  dreist Gesetzeskonformität b
escheinigten.

 „Der Richard Nixon der Deutschland AG“

Ich warte gespannt auf dieses Verfahren vor dem LG Braunschweig. Mehr als drei Jahre für Recherchen hat die Staatsanwaltschaft bis zur Anklage gebraucht. Aufgrund aller hieb- und stichfesten Fakten sei sie zuversichtlich, dass die Klage zugelassen wird und erfolgreich wird. Laut Informationen der „Süddeutschen Zeitung“, „NDR“ und „WDR“ bietet die Staatsanwaltschaft für den Prozess gegen den 71-Jährigen Winterkorn vier Kronzeugen auf. Laut deren Aussagen habe Winterkorn bereits von den Abgas-Manipulationen bei VW erfahren, bevor die US-Behörden den Skandal am 18. September 2015 veröffentlichten. Um den 27. Juli 2015 herum, also rund zwei Monate vorher, sei Winterkorn bereits intern über die US-amerikanischen Absichten informiert worden. Anschließend, so die Kronzeugen, sei ein Justitiar in sein Büro geeilt und habe ihm dringend geraten, umgehend in der Öffentlichkeit für Aufklärung zu sorgen. Doch Winterkorn habe diesen Schritt abgelehnt. Er sei zwar etwas „beunruhigt“ darüber aber „zuversichtlich, die Sache bald wieder aus der Welt“ zu schaffen. Doch da irrte er sich gründlich. Bereits heute darf er wegen eines amerikanischen Haftbefehls Deutschland nicht mehr verlassen ohne Gefahr zu laufen, hinter der Grenze festgenommen und in die USA ausgeliefert zu werden. Die US-Justiz ermittelt gegen ihn  wegen „bewussten und absichtlichen Betruges“, und ihm drohen in den USA bis zu 25 Jahren Haft. Fasst der ehemalige Chefredakteur des Handelsblatts, Gabor Steingart, die casa Winterkorn zusammen: „Martin Winterkorn dachte offenbar nicht, er stehe über dem Gesetz. Er dachte, er sei das Gesetz. Den Rechtsstaat hatte er für sich suspendiert. Er ist der Richard Nixon der Deutschland AG.“


Bayerns Staatanwaltschaft griff schon früh beherzt durch

 

Gerichte und Staatsanwälte fernab von Wolfsburg, Braunschweig und Niedersachsen waren schon frühzeitig mutig gegenüber VW. So verurteilte das LG Krefeld in Nordrhein-Westfalen einen VW-Händler dazu, zwei Audi-Fahrzeuge mit dem inkriminierten EA 189 Diesel per Wandlung des Kaufvertrages zurückzunehmen. Begründung: Bei den Abgas-Manipulationen handele es sich um einen erheblichen Mangel. Eine Nachbesserung durch VW mithilfe eines Softwareupdates sei für den Käufer nicht zumutbar, da auch nach einer solchen Nachbesserung ein „berechtigter Mängelverdacht“ bleibe, vor allem, weil die Stickoxidwerte eines Dieselmotors im Zielkonflikt mit den Kohlendioxidwerten des Motors stünden. Reduziere man die einen, erhöhten sich die anderen.

Die Staatsanwaltschaft von München II verhaftete bereits den VW-Manager und Audi-Chef Rupert Stadler wegen Betrugsverdachts und Verdunkelungsgefahr. Außerdem durchsuchten Beamte seine Privaträume. Stadler wurde vorgeworfen, jahrelang wissentlich abgasmanipulierte Dieselfahrzeuge der Konzernmarke Audi in den Verkehr gebracht zu haben. Volkswagens neuer Konzernchef Herbert Diess reagierte denn auch prompt. Er ernannte den Niederländer Bram Schot zum Nachfolger Stadlers und ordnete eine Generalüberprüfung aller Fahrzeuge des Konzerns an, die eine Betrugssoftware enthalten könnten.

Schon im Herbst 2017 ging man in Bayern in der casa VW beherzt zur Sache, als die Staatsanwaltschaft II zwei VW-Manager in Untersuchungshaft nahm – darunter Wolfgang Hatz, einen Motoren-Entwickler und engen Vertrauten des damaligen Konzernschefs Martin Winterkorn. Außerdem beschlagnahmten die Münchener bei der Anwaltskanzlei  Jones Day, die den Abgasbetrug im Auftrag des VW-Konzerns intern untersucht, „heiße“ Akten mit Befragungen von VW-Mitarbeitern. Diese Akten wollte der Konzern freiwillig nicht rausrücken.

Bislang ging der VW-Konzern nach jedem verlorenen Prozess vor einem Landgericht (LG) in die Berufung, spielte auf Zeit und trieb die Prozesskosten derart in die Höhe, dass der eine oder andere Kläger die Segel strich, wenn er keine großzügige Deckungszusage einer Rechtsschutzversicherung hatte. Doch nicht jeder Kläger gab auf, mit dem Ergbnis, dass VW vor den Oberlandesgerichten (OLG) mutigen Klägern einen Vergleich anbot. Auf diese Weise will der Konzern eine Revisionsklage vor dem Bundesgerichtshof (BGH) oder die Anrufung der höchsten EU-Instanz, des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), mit einem finalen Urteil vermeiden. Denn sollte VW dort den Kürzeren ziehen, könnte das den Konzern weitere Milliarden Euro an weltweiten Entschädigungen kosten. Denn dann müssten allein fast drei Millionen deutsche Fahrzeugbesitzer mit dem EA 189 – Dieselmotor Genugtuung bekommen.

„Volkswagen, eine Ikone der deutschen Industrie und Symbol für Wirtschaftswunder und Wertarbeit“ ist in einen „Morast aus Betrug und Trickserei zulasten von Mensch und Natur“ versunken, beklagte das Magazin „stern“ bereits im Oktober 2015 in einem umfangreichen Bericht des Blattes. Daran hat sich bis dato wenig geändert.

Fragwürdige Softwareupdates

 

Bis dato sind vom VW-Konzern zwar rund 90 Prozent der vom Abgasbetrug betroffenen Dieselfahrzeuge auf Order des BKA per Softwareupdate „nachgebessert“ worden. Doch niemand erklärte bislang  der Öffentlichkeit, was mit den Fahrzeugen wirklich gemacht wurde und wie die Langzeiteffekte sind. Wird die Emissionssteuerung für den Rollenprüfstand auf alle Fahrsituationen erweitert? Sinkt dadurch die Motorleistung? Steigt der Dieselverbrauch? Gibt es höheren Verschleiß und andere Folgeschäden? Oder wird erneut getrickst? Niemand gibt darauf eine Antwort, weder der durchführende Volkswagen-Partner, weder das VW-Management, noch der Bundesverkehrsminister, noch das BKA.

Der ADAC hat bereits per Software  „nachgebesserte“ Fahrzeuge geprüft und dabei Abweichungen des Verbrauchs um bis zu zwei Prozent nach oben festgestellt. Die Zeitschrift „auto, motor und sport“ maß beim Pick-up VW-Amarok sogar bis zu 0,7 Liter Mehrverbrauch je 100 km. Einige Fahrer sind mit ihren „nachgebesserten“ Dieselfahrzeugen unterwegs liegengengeblieben und klagen gegen die Werkstätten und gegen VW wegen technischer Verkehrsgefährdung. Unklar ist auch, welche Folgen die per Software veränderte Abgasreinigung auf die Haltbarkeit älterer Motoren und die Katalysatoren hat. Und unklar ist weiter, ob eine Reduzierung der NOx-Emissionen nicht zur Zunahme von CO2-Emissionen führt, da beide voneinander abhängig sind. Das sind Fragen über Fragen, die Besitzer von Betrugsdieselfahrzeugen ohne kostenträchtigen Aufwand nicht beantworten können und so im Zweifel auf ihren doppelt belasteten Autos sitzenbleiben. Nach einem „Update“ der Betrugssoftware hier in Deutschland garantiert VW noch nicht einmal, dass das Fahrzeug dann „sauber“ ist. Es gibt weder eine Gewährleistung noch eine Langzeitgarantie von VW für die „Nachbesserung“, sondern eher die Drohung, ohne Softwareupdate keine TÜV-Plakette mehr zu bekommen und die Zulassung zu verlieren.

3.100 Euro pro Tag Betriebsrente für Winterkorn

 

Zurück zu Winterkorn: Geradezu „obszön“ erscheint dem Kölner Stadt-Anzeiger die „Belohnung“ des Ex-VW-Chefs für den von ihm mitgetragenen Milliarden-Betrug an Millionen VW-Käufern mit einer lebenslangen Betriebsrente von 3.100 Euro pro Tag (!!!) nebst Dienstwagen. Anders als Marc Zuckerberg (Facebook) oder Bill Gates (Microsoft), die einen Großteil ihrer Vermögen gemeinnützig verwenden, scheint Winterkorn über solche Demut noch nicht einmal nachgedacht zu haben. Winterkorn ist für Ferdinand Dudenhöffer, Professor für Automobilwirtschaft an der Uni Duisburg-Essen und profunder Kenner der Branche, ein „gnadenloser Egoist“. Auch der Umstand, dass der Aufsichtsrat des VW-Konzerns diese Superbetriebsrente genehmigte, lässt erschaudern. Immerhin saßen in ihm zu der Zeit Niedersachsens Ministerprädent Stephan Peter Weil (SPD), sein Wirtschaftsminister Bernd Althusman (CDU), der VW-Gesamtbetriebsrat-Chef Bernd Osterloh sowie acht weitere Arbeitnehmervertreter, darunter der Vorsitzende der IG Metall Jörg Hofmann. Landesregierung und Arbeitnehmervertreter haben im Gremium die Mehrheit. Jeder fleißige VW-Arbeiter am Fließband fragt sich: Wofür haben die eigentlich Winterkorn belohnt?  Jeder Ladendieb hätte längst seine Strafe und ein Hausverbot erhalten und den angerichteten Schaden bezahlen müssen.


12 Millionen Euro Abfindung für 13 Monate

 

Noch unverständlicher erscheinen den VW-Geschädigten und -Beschäftigten die zwölf Millionen Euro Abfindung, die VW seiner Chefaufklärerin im Abgasskandal, Christine Hohmann-Dennhardt, nach nur dreizehn Monaten Tätigkeit zukommen liess. Die ex-Justizministerin des Landes Hessen und ex-Verfassungsrichterin war Anfang 2016 auf Initiative von Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) von Daimler zu VW geholt worden, um als neu geschaffener „VW-Vorstand für Integration und Recht“ mit der US-Justiz wie einst für Daimler günstige Vereinbarungen für VW auszuhandeln und innerhalb des VW-Konzerns als Sauberfrau zu wirken. Doch man trennte sich schnell wieder –  „im gegenseitigen Einvernehmen“, so die Pressemitteilung. Die extrem teure Freistellung der Dame nach nur etwas über einem Jahr Dienst für den VW-Konzern kann keinen überraschen, so der Münchner Betriebswirtschaftsprofessor und Corporate-Governance-Fachmann Manuel Theisen gegenüber der F.A.Z., der „die Wagenburg-Mentalität der Familien Porsche und Piech sowie deren Statthalter in den Gremien“ kennt. Offensichtlich hatten die VW-Oberen gehofft, mit der Einstellung der Dame in erster Linie die Amerikaner zu beruhigen, was ihr ja mehr oder weniger auch gelang. Ihre konzerninternen Reinigungsmaßnahmen indes waren bei der tonangebenden Männerriege des Konzerns unerwünscht. Die Dame musste weg. Koste es, was es will.

Ob die Verabschiedung des wirtschaftlich zwar erfolgreichen aber oft brüskierenden Matthias Müller von der Spitze des VW-Konzerns und seinen Ersatz durch den Seiteneinsteiger Herbert Diess (er kommt von BMW und sorgte zuletzt bei VW für die Kernmarke) dem Unternehmen und seinen Kunden in der Dieselproblematik nützt, steht in den Sternen. Manager Diess kann das verlorene Vertrauen zigtausend geprellter Diesel-Kunden  in Marke und Management von VW nur dann zurückgewinnen, wenn er die betroffenen und meist noch jungen Fahrzeuge mit SCR-Kats nachrüstet oder einen fairen finanziellen Ausgleich für die Wertverluste der praktisch unverkäuflichen Fahrzeuge mit dem EA 189 – Diesel anbietet. Vielleicht gibt es ja eine solche Einigung beim aktuellen Verfahren in Braunschweig. Derzeit rüstet Diess den Konzern für die E-Mobilität auf und plant 44 Milliarden Euro Investitionen in die Elektromobilität und digitale Vernetzung der Fahrzeuge. Im neuen Jahrzehnt will er 70 Modelle mit E-Antrieb auf den Markt werfen und insgesamt 22 Millionen E-Mobile verkaufen. Im Jahr 2030 hätten dann 40 Prozent aller Neuwagen aus dem VW-Konzern elektrischen Antrieb.

Last but not least: Mit vier Jahren Verspätung bekamen mehrere VW-Topmanager 2019 noch ihre umstrittenen Boni in Millionenhöhe ausgezahlt, die in den Krisenjahren ab 2015 eingefroren waren, um die Öffentlichkeit und die Geschädigten nicht noch mehr zu provozieren. Es geht um mehr als vier Millionen Euro. Von dieser Summe erhält ex-CEO Matthias Müller 1,3 Millionen Euro, sein Nachfolger Herbert Diess 540.000 Euro, Finanzchef Frank Witter 250.000 Euro, Andreas Renschler (CEO der Lkw-Tochter Traton) knapp eine Million Euro und Einkaufschef Francisco Javier Garcia Sanz 1,1 Millionen Euro. Schämt sich da denn gar keiner? Ich fürchte nein.

Ich bleibe am Ball und werde weiter darüber informieren, wie sich die casa VW und die Entschädigungen für die Betrogenen aus dem Abgasskandal entwickeln. Verbraucher- und Umweltschutz müssen meines Erachtens auch in Deutschland endlich jenen politischen und juristischen Stellenwert erhalten, den der von Politik und Wirtschaft symbiotisch betriebene Schutz ihrer eigenen Interessen schon lange hat.

vw3d_048

 

VW KANN NUR DURCH OFFENHEIT UND GLEICHBEHANDLUNG SEINER KÄUFER
DAS VERLORENE VERTRAUEN ZURÜCKGEWINNEN. AUCH WENN ES TEUER WIRD.

Autor und Fotos: Uwe C Schoop (ucs)

5 Kommentare zu “DER VW- BETRUG UND SEINE FOLGEN

  1. Erasmus Mockenschiss
    November 9, 2017

    Mafiatorten sind teurer als Plunderrteilchen!
    Ich verstehe überhaupt nicht, warum VW nach dem monatelangen Bashing und der kriminellen Energie, mit der der Konzern diesen Massenbetrug begangen hat, noch mehr statt deutlich weniger Autos verkauft? Außerdem drastisch den Aktienwert steigert, satteste Gewinne einstreicht und und insgesamt schon wieder besser als vorher dasteht.

    Warum kaufen die Leute bloß die Kisten wieder?

    Hinzu kommt noch, dass die Stammmarke VW austattungsbereinigt und im direkten Vergleich mit Premiumherstellern wie BMW und Mercedes auch noch deutlich teurer ist.

    Alle zahlen also für die muffige Mafiatorte viel mehr als für das leckere, frische und saftige Plunderteilchen? Na dann ….!!??

    • Uwe C Schoop
      November 29, 2017

      Die Autos des Konzerns – ob VW, Porsche, Audi, Seat oder Skoda – sind ja nicht schlecht. Schlecht ist die Gesinnung und Gier der Manager bis zur Topp-Etage, die mit Betrug Karriere und Geld machen wollen und anschkließend nicht bereit sind, die Betrogenen zu entschädigen. Bei uns bekommt jeder kleine Ladendieb eine satte Strafe. Die VW-Manager dagegen werden für ihren Betrug „zum Wohle der deutschen Vollbeschäftigung und Exportkraft“ von höchster politischer Stelle noch gelobt und gestreichelt. Ich hoffte immer, wir sind keine Bananenrepublik. Doch diese Hoffnung trog bislang.

  2. Uwe C Schoop
    Januar 21, 2017

    Hallo Winfried. Kann deinen Ärger verstehen. Doch hier in meinem Blog geht es um den Betrug von VW mit dem EA189-Dieselmotor. Deshalb möchte ich nur bei diesem Thema bleiben und bitte um Verständnis. Gruß Uwe c Schoop

  3. Manfred Hoffend
    Juli 30, 2016

    Das sind äußerst klare Worte und man kann als Betroffener nur voll zustimmen. Nach „Behebung“ des Betrugs-Softwarefehlers will ich erst mal abwarten wie der Kraftstoff-Verbrauch sich an meinem Yeti verändert; Dann werde ich die Rückgabe meines Fahrzeuges einklagen, oder Skoda gibt mir im Tausch einen gleichwertigen Yeti mit Benzinmotor.

    • Uwe C Schoop
      Juli 30, 2016

      Achten sie auch nach dem Softwareupdate auf die Leistung ihres Wagens. Die könnte sich nach unten verändern.

Hinterlasse einen Kommentar